
Die Stadt Zeitz hat den Fehler gemacht zu glauben, dass der bloße Verkauf eines Hauses ausreicht, um eine positive Entwicklung anzustoßen.
Reiner Eckel
Wir sprachen mit Reiner Eckel im September 2020. Es hat »etwas« länger gedauert, bis wir das Interview fertig gestellt hatten. Das Corporate Design, dass die Stadt in Auftrag gegeben hat ist mittlerweile leider abgelehnt worden.
Während in Paris die ChampsElysee komplett umgestaltet wird und laut Anne Hidalgo in einen außergewöhnlichen Garten verwandelt werden soll, hat Zeitz fast 30 Bäume am Bahnhof für einen Busbahnhof abgesägt.
Seit vielen Jahren kümmert sich Reiner Eckel auch als Ehrenamtler um die Öffentlichkeit von Zeitz. Seine Geduld, seine Liebe und sein Einsatz für die Belange von Zeitz sind groß.
Er betreibt das Online-Magazin »Zeitzonline« und dokumentiert darin seit vielen Jahren schon was für Zeitz und Umgebung relevant ist.
Du bist seit Anfang der 70er Jahre in Zeitz. Das ist eine lange Zeit, es war sogar in einem anderen Land. Wie hat sich Zeitz verändert?
Die Stadt war damals definitiv lebhafter, allerdings auch ziemlich heruntergekommen und grau - das haben viele aus den Augen verloren. Wir haben immer noch viele leerstehende Gebäude, und das wird eher mehr, weil die Bevölkerung weiter schrumpft. Der Kontrast zwischen Belebtheit und Verfall ist jetzt noch schärfer.
Zur DDR-Zeit waren schon ganze Straßen fast menschenleer und verfallen, und heute sind viele davon komplett verschwunden. Früher zählte die Stadt 44.000 Einwohner, und jetzt sind wir, selbst mit eingemeindeten Gebieten, nur noch bei 29.000.
Es wird wahrscheinlich noch viele Generationen dauern, bis wir das vielleicht wieder aufholen können. Ehrlich gesagt, ich bezweifle das. Um einen Bevölkerungszuwachs wie in Leipzig zu erreichen, der dort immerhin 25 Jahre gebraucht hat, müsste hier viel passieren. Zeitz hatte mal 23.000 Industriearbeitsplätze, und innerhalb von sechs Jahren sind davon 18.000 verloren gegangen. Wie man das wieder gutmachen kann, ist mir ein Rätsel.
Ich erinnere mich noch gut an meine erste Begegnung mit Zeitz im Januar 1974. Als junger, unverheirateter Mensch hatte man zu DDR-Zeiten kaum eine Chance auf eine eigene Wohnung. Aber in Zeitz gab es eine freie Stelle mit Wohnung – da habe ich gleich zugegriffen. Die Arbeit hat Spaß gemacht, und ich beschloss, in Zeitz zu bleiben. Meine Frau litt jedoch zwei Jahre lang unter Heimweh, also fuhren wir fast jedes Wochenende zurück nach Köthen.
Es gibt keine Hochschule, keine jungen Intellektuellen in Zeitz. Man bräuchte eine Idee, einen Masterplan, um daran etwas zu ändern.
Ist es Dir aufgefallen, dass es leerer wurde?
Der Bevölkerungsrückgang ist das eine, aber das gesellschaftliche Verhalten ist das andere. In Zeitz ist es beispielsweise nicht üblich, in Cafés auf der Straße zu sitzen, unabhängig davon, ob es solche Cafés gibt. Das Leben außerhalb der Wohnung gestaltet sich in Kleinstädten anders als in Großstädten. Man sieht hier niemanden, der sich mit einem Picknickkorb und einer Decke auf die Elsterwiese legt. Diesen Lebensstil gibt es in Zeitz einfach nicht.
Es gibt keine Hochschule, keine jungen Intellektuellen in Zeitz. Wenn man die Quote der hochqualifizierte Personen auf die Bevölkerungsanzahl bezieht oder Erwerbstätige auf einem bestimmten Niveau, hängt Zeitz weit hinten. Man bräuchte eine Idee, einen Masterplan, um daran etwas zu ändern.
Gibt es diesen Masterplan? Den Zeitzer Leerstand gibt es ja schon eine Weile?
Es gibt ein integriertes Stadtentwicklungskonzept, und der Ministerpräsident hat jetzt im Zuge des Strukturwandels einen Masterplan ins Gespräch gebracht. Sie haben erkannt, dass es sich um ein besonderes Problem handelt. Leerstand ist in ostdeutschen Städten dieser Größe zwar nicht ungewöhnlich, aber das Ausmaß in Zeitz, auch mit steigender Tendenz, ist bemerkenswert.
Die Bevölkerung in Zeitz ist relativ alt. Letztes Wochenende war im Schlosspark ein Sommerkonzert von Harmon Brass. Dort bin ich fast das Nesthäkchen. Das ist verrückt. Ich frage mich, ob man in zehn Jahren noch ein Festival mit barocker Musik machen kann und wer dann noch hingeht. Manchmal bekommt man da schon Panik.
Nachdem Radfahrer auf dem schönen Elsterradweg unterwegs waren, fühlen sie sich in der Stadt oft wie Freiwild.
Vermutlich muss man sich auch mal auf eine Richtung festlegen.
Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept bietet tatsächlich gute Ansätze. Es geht darum, in den nächsten Jahren zu entscheiden, worauf sich die Stadt fokussieren sollte. Zum Beispiel, wenn eine Stadt wie Zeitz drei Märkte hat, muss sie sich damit auseinandersetzen, welche Funktion jeder Markt übernehmen kann. Einer könnte zum Parken dienen, ein anderer zum Einkaufen, der dritte zum Entspannen. Wichtig ist, dass sich jemand damit befasst und Maßnahmen ergreift, um die Stadt lebenswert zu gestalten.
Es geht auch darum, den Handel sinnvoll anzusiedeln, was durch städtische Satzungen festgelegt werden muss. Dann spricht man mit den Verwaltungsleuten, setzt klare Ziele und zieht diese im Hinblick auf das Gesamtziel durch. In anderen Städten, wie zum Beispiel Wernigerode, funktioniert das auch. Auch wenn die Anlieferung dort schwierig ist, finden sie Lösungen. In Zeitz wird das oft als Argument genutzt, um Handel lieber an den Stadtrand zu verlegen.
Weniger Parkplätze wären in Zeitz sicherlich ein Anfang. Nicht aus jedem freien Platz einen Parkplatz machen, das wäre schön
Im Stadtrat gab es mal eine Initiative, Autofahren in der Fußgängerzone wieder zu erlauben, das betrifft auch Radfahrer. Man muss nur mal Radfahrer fragen, was sie von Zeitz halten. Nachdem sie auf dem schönen Elsterradweg unterwegs waren, fühlen sie sich in der Stadt oft wie Freiwild.
Wir haben dem Oberbürgermeister Unterlagen mit Empfehlungen für Radwege geschickt, die liegen jetzt in der Schublade. Es gibt bundesweit Förderprogramme, die solche Initiativen unterstützen. Als Verwaltungschef muss man ein klares Ziel formulieren. Wenn eine neue Straße gebaut oder ein Gebiet erschlossen wird, sollte eine Bedingung sein, dass Radwege Teil der Planung sind.
Das Konzept wurde 2010 erstellt, und obwohl die Stadt es in Auftrag gegeben hat, wird es nicht als Ziel verfolgt. Das ist eine typische Schwäche in Zeitz. Das ist wie mit dem Leitbild. Es nützt nichts, wenn nicht genau geplant wird, wie und wann es umgesetzt wird.
Ich habe Monate diskutiert, dass Zeitz kein Leitbild braucht, wenn nicht akribisch die nächsten Schritte geplant und verfolgt werden. Wenn Ziele beschrieben werden, aber keine Projekte und Maßnahmen festgelegt sind – mit klaren Fristen und Verantwortlichkeiten –, dann sollte man gar nicht erst anfangen. Sonst verpufft alles. Das ist auch in der Verwaltung ein Problem, zu verstehen, wie wichtig das ist.
Einer der größten Fehler nach der Wende war, den Brühl nicht jungen Leuten als Baugebiet anzubieten.
Zeitz hätte die Möglichkeit, sich modern zu positionieren, indem es alternative Verkehrsmittel integriert und grüne Aufenthaltsflächen schafft. Deine Anmerkung, dass es keine Kultur des Draußenseins gibt, könnte auch am Mangel an Möglichkeiten liegen. In Leipzig beispielsweise wäre man froh, wenn nicht alles zugebaut wäre. Hätte man dort schon vor dem Bevölkerungszuwachs mehr Plätze freigelassen und geplant, gäbe es im Sommer mehr grüne Flächen, weniger Hitze. Zeitz hat hier echte Chancen. Statt nur neidisch nach Leipzig zu schielen, könnte Zeitz sich zum Ziel setzen, in manchen Bereichen sogar besser zu sein
An der Weißenfelser Straße, die den Berg hoch zur Autobahn führt, ist das Problem sehr deutlich. Nach einer Diskussion mit den Anwohnern wurde die Straße neu gestaltet. Früher war sie von Bäumen gesäumt, eine Allee. Die Anwohner spüren den Unterschied im Sommer jetzt deutlich, denn die Bäume sind weg. Die ehemaligen Rasenstreifen neben den Bäumen sind jetzt Asphalt oder Pflaster, und die Hitze staut sich dort, sodass sie noch am nächsten Morgen zu spüren ist. Bei solchen Projekten wird das nicht bedacht. In modernen Städten denkt man darüber nach, wie man Regenwasser in der Stadt halten kann, während wir hier noch immer darauf ausgerichtet sind, alles möglichst schnell abzuleiten. Natürlich, wir sind eine Kleinstadt.
Aber Zeitz will wachsen, wieder belebt werden. Wenn die Menschen erst einmal da sind, ist es zu spät. Die Planung muss jetzt erfolgen.
Einer der größten Fehler nach der Wende war, den Brühl nicht jungen Leuten als Baugebiet anzubieten. Die Bauwilligen aus dieser Zeit leben heute in Orten wie Tröglitz, Droyßig, Grana. Sie haben dort günstig erschlossene Gebiete bezogen und sind aus Zeitz weggezogen. Ich war damals im Stadtrat und konnte mich in meinen eigenen Reihen nicht durchsetzen. Ich trage also auch eine Mitschuld.
Es gab ja neue Planungen für die Bebauung des Brühls. Ein Entwurf sah vor die Fläche mit Stadthäusern voll zu knallen. Von dieser Bebauung verspreche ich mir keine besondere Beteiligung und Belebung. Das sieht mehr nach Schlafstädten aus. Die Leute werden mit dem Auto zur Arbeit fahren, nicht in Zeitz, sie werden auf dem Weg einkaufen und dann abends zuhause sein.
Wir hatten eine intensive Diskussion im Leitbildprozess, vor allem um Formulierungen. Ich hatte eine Bedingung: Wenn es heißt »Grüne Wohn- und Kulturstadt an der Weißen Elster«, dann muss dieses »Wohnen« genau definiert werden. Was verstehen wir unter einer Wohnstadt? Soll das eine Trabantenstadt sein, wo die Leute nur zum Schlafen heimkommen? Das ist dann nur Wohnen, ohne Leben. Das, was städtisches Leben ausmacht, ist dort nicht formuliert.
Kurz nach der Wende gab es einen Architektenwettbewerb zum Brühl. Damals hatten wir noch wenig Ahnung von Eigentum und dergleichen. Der ausgewählte Entwurf sah vor, die Fassaden der Denkmäler am Brühl, die damals noch alle standen, nach den Vorgaben der Denkmalschützer zu sanieren. Hinter der Fassade sollte modern gewohnt werden, und die Hinterhöfe wären für das Leben der Bewohner gedacht gewesen. Der Bereich zum Berg hin hätte unangetastet bleiben sollen. Das hätte ein Sahnestück werden können, aber es wurde von den Denkmalschützern zerschlagen.
Und jetzt ist die Hälfte der Bebauung am Brühl schon abgerissen und die andere gehört einem Besitzer, der nicht saniert. Man kann das schon als Beispiel nehmen, dass das Denkmalamt mit der Intervention nichts Gutes erreicht hat. Keiner lebt in den Häusern.
Die Stadt Zeitz hat den Fehler gemacht zu glauben, dass der bloße Verkauf eines Hauses ausreicht, um eine positive Entwicklung anzustoßen. Wenn ein Haus von privat zu privat verkauft wird, hat die Stadt keinen Einfluss darauf. Aber wenn ein Besitzer mehrere Häuser erwirbt und diese nicht saniert, wird es für eine Kleinstadt wie Zeitz zum Problem.
Ein weiteres Beispiel ist das Thema »Grüne Wiese«. Zu der Zeit, als ich im Stadtrat war, habe ich vehement gegen den Bau des Michaelsparks, eines Einkaufszentrums am Stadtrand, gekämpft. Die Erfahrungen lagen schon vor. Schon damals wurden die Quadratmeter der Einkaufsfläche an die Kaufkraft der Einwohner angepasst – ein völliger Wahnsinn. Und natürlich war das schädlich für die Innenstadt.
Die Art und Weise wie es zu dem Michaelspark kam war erschreckend.
Zeitz kommt mir vor, wie ein kleines verwildertes Kind, es liegt in der Nähe von Leipzig, es könnte lernen von deren Fehlern. Stattdessen wirkt es als wollten sie unbedingt auch die gleichen Fehler machen.
Als ich noch in der Politik war, hat sich das Land zunächst Arbeitsplätze im Logistikbereich eingesetzt. Irgendwann hat das Land bemerkt, dass die Wertschöpfung zu gering war und es dem Land nicht wirklich etwas einbrachte. Daraufhin wurde diese Strategie abgebrochen.
Wir Politiker wurden plötzlich von der Logistik-Lobby zum Essen eingeladen. Wenn man da nicht standhaft ist, kann man leicht umkippen und dann findet man sich vielleicht in der Bildzeitung wieder. Solche Dinge passieren auch in kleinen Städten wie Zeitz.
Statt des Michaelsparks gab es ursprünglich eine Planung für ein Einkaufszentrum am Schützenplatz, wo jetzt ein Loch ist. Früher stand dort das Arbeitsamt. Das wäre zumindest noch stadtnah gewesen, nur 200 Meter bis ins Stadtzentrum. Dann kam die Idee mit dem Michaelspark, und die Art und Weise, wie da agiert wurde, war erschreckend. Jetzt ist es eine verwüstete Brache am Eingangstor der Stadt, wenn man aus Richtung Leipzig kommt.
Das wäre auch eine schöne Stelle für einen Park. In Leipzig gibt es das Jahrtausendfeld, das sich Menschen über Jahre angeeignet haben. Es gab Zeiten, da war es wunderschön dort. Zeitz hat auch nicht besonders viele Grünflächen. Der Ort unter dem Franziskanerkloster ist gelungen und der Park an der Moritzburg ist kostenpflichtig.
Du betreibst seit 2011 das Online_magazin »Zeitz online«. Wie kam es dazu? Bist Du aus der Branche?
Ich habe mich selbst an das Projekt herangetastet. Der Auslöser war eine Diskussion im Rathaus, in der ich argumentierte, dass die Stadt mehr in Sachen Internetpräsenz machen muss. Die bestehende städtische Webseite war unübersichtlich, und die Außendarstellung von Zeitz, sowohl in Form als auch in Sprache, war mangelhaft. Ich machte Vorschläge und nannte sogar Zeitzer, die bei einem solchen Projekt helfen könnten. Aber es passierte nichts. Also setzte ich mich hin und machte es selbst. Und es macht mir Spaß – man lernt Leute kennen, die Seite wird viel gelesen. Sogar Leipziger sagen mir, dass sie auf Zeitz Online schauen, um zu erfahren, was in Zeitz los ist. Das ist doch verrückt.
Vor ein paar Jahren, als mein Job vakant war, machte ich einen Test. Ich fragte bei Unternehmen an, was sie für gut platzierte Anzeigen auf Zeitz Online ausgeben würden. Die Anzeigen sollten ansprechend gestaltet und auf der Seite veröffentlicht werden. Ich hätte davon richtig gut leben können. Ich habe aber darüber nachgedacht, was mich an anderen Onlinemagazinen stört, wie zum Beispiel Popups und aufdringliche Werbung. Das hat mich letztendlich davon abgehalten, auf Zeitz Online zu viel Werbung zu schalten.
Sind Deine Wochenende nicht komplett verplant? Du bist doch bei den meisten Veranstaltungen persönlcih dabei?
Ich müsste eigentlich viel mehr unterwegs sein, deshalb träume ich auch davon, Mitarbeiter zu haben. Besonders im Bereich Sport, der auf Zeitz Online noch keine Rolle spielt, obwohl er viel gelesen würde. Es wäre toll, jemanden zu haben, der diesen Teil übernimmt. Mein Schwerpunkt liegt auf Kultur. Ich habe auch versucht, Zeitz Online in den Verteiler der Unternehmen zu bringen, damit ich automatisch Informationen erhalte.
Meine Erfahrung ist jedoch, dass Unternehmen nicht immer gerne mit mir zusammenarbeiten. Ich verzerre die Informationen nicht, aber es kann trotzdem vorkommen, dass sich jemand auf den Schlips getreten fühlt. Ich erinnere mich genau an den Vorfall im Jahr 2017, als ich in ein Wespennest stach. Ein Zeitzer Urologe, der am Klinikum seine Praxis hatte, wurde gekündigt und schrieb einen offenen Brief, auf den weder das Klinikum noch die Stadt reagierten. Ich griff das Thema auf und betonte, dass, wenn das, was der Urologe sagt, stimmt, es bedenklich wäre.
Einen Monat später kam der komplette Klinikstab bei der Stadt Zeitz zusammen und machte große Versprechungen. Ein Jahr später waren sie insolvent. Ich dachte mir, man sollte nicht so leichtgläubig sein und tiefer nachforschen. Nach dem offenen Brief war die Insolvenz absehbar.
Die Reaktion auf meine Veröffentlichung führte dazu, dass der Oberbürgermeister damals auf Facebook postete, man müsse immer beide Seiten hören. Ich hatte beide Seiten angehört und dachte bei mir, dass er sich damit selbst belügt.
Haben das andere Zeitungen aufgegriffen?
Nachdem ich den Artikel veröffentlicht hatte, bezog sich die Mitteldeutsche Zeitung darauf, nannte allerdings keine Namen. Infolge meines Artikels wurde die Mitteldeutsche Zeitung vom Klinikum einbestellt. Dabei wurde ihnen klargemacht, dass sie im Gegenzug für weiterhin geschaltete Anzeigen auch positive Berichterstattung über das Klinikum liefern sollten. Ich überlegte, ob ich diese Vorgehensweise öffentlich machen sollte, entschied mich dann aber dagegen. So funktioniert das eben.
Aber als das Klinikum später insolvent wurde, konnte auch die Mitteldeutsche Zeitung nur noch Negatives über sie berichten
Unterstützt die Stadt »Zeitzonline« finanziell? Du machst doch deren Arbeit?
Nein, es ist ja noch schlimmer. Früher wurde ich von der Presseabteilung der Stadt um Fotos gebeten, die ich bei Veranstaltungen aufgenommen hatte. Sie boten mir nie etwas für die Bilder an, und ich forderte auch nie etwas. Aber als es zur Gewohnheit wurde, habe ich aufgehört, großzügig zu sein. Einmal erklärten sie, dass ihre Kamera gestreikt hatte, und da sagte ich ihnen, dass es den Anschein hat, als könne die Stadt das nicht selbst bewältigen. Ich bat darum, nicht mehr für Fotos angerufen zu werden, nur weil es bequemer für sie ist. Ich mache das nicht mehr, schließlich ist das auch mein Aufwand.
Marketing ist eigentlich ein einfacher Bereich. Man kann Dinge umsetzen, die keine Millionen kosten. Wenn Ressourcen fehlen oder es technische Probleme gibt, könnte man doch lokale Unternehmen um Unterstützung bitten. Oft helfen sie für wenig Geld, weil sie sich mit der Stadt verbunden fühlen.
Dass die Stadt Zeitz ein Corporate Design ausgeschrieben hat, wäre nie passiert, wenn ich nicht monatelang darauf gedrängt hätte. Sie dachten zunächst, es ginge um Corporate Identity. Ich erklärte ihnen, dass das CD nur ein Teil des CI ist und schlug vor, sich damit auseinanderzusetzen. Am nächsten Tag bekam ich eine E-Mail mit der Bitte um Literatur dazu. Ich war fassungslos.
Ich sage ihnen immer, sie sollen sich doch mal hinsetzen und sich um ihre Aufgaben kümmern. Ich verstehe das nicht.
Wie schaffst Du es trotzdem mit so viel Leidenschaft dabei zu bleiben?
Manchmal ist es die reine Lust, den Finger auf die Wunde zu legen, und dann beruhige ich mich wieder, wenn ich das öffentlich mache.
Die Moritzburg und das Deutsche Kinderwagenmuseum, das dort beheimatet ist und in Europa einzigartig ist, sind auch so ein Thema. Die Website war lange Zeit nur eine Baustellenankündigung. Ich ging daraufhin das erste Mal zur Stadt und wies darauf hin, dass das umgebaute und vier Millionen Euro teure Kinderwagenmuseum auch eine ordentliche Website verdient. Aber es passierte nichts.
Als ich später zu einem Gespräch über die Entwicklung einer Website für die Stadt eingeladen wurde, fragte ich, ob die Zeitzer Kulturhighlights auch eine Präsenz darauf bekommen würden. Die Antwort war nein, daran hatte man nicht gedacht. Dann kam der Winter, dann Corona, und schließlich habe ich mit Herrn Rettich, dem Chef der Fördergesellschaft des Kinderwagenmuseums, gesprochen. Ich sagte ihm, dass ich jetzt mit der Fördergesellschaft eine Website erstellen werde. Als diese online ging, zeigte ich der Stadt auf, dass die Fördergesellschaft etwas geschafft hatte, was sie selbst nicht hinbekommen hatten. Und ja, das musste sein!
Es ist traurig, dass sich ein Ehrenamtler abends hinsetzt und für ein so bedeutendes Haus eine Internetseite erstellt. Ich habe auch die Stadt gefragt, ob sie sich nicht blöd vorkommen. Aber das scheinen sie nicht zu merken. Für das ehrenamtliche Engagement bedankte sich die Stadt dann in einer gemeinsamen Pressemitteilung mit der Fördergesellschaft.
Das größte Potenzial in Zeitz sehe ich im Bereich der Kultur. Wir könnten unserer Leerstände nutzen, um junge Unternehmen anzuziehen.
Viele Entwicklungen in Zeitz kommen nur zustande, weil jemand beharrlich genug ist, der Stadt einen Anstoß zu geben. Erst dann beginnt sie sich zu bewegen, und selbst dann muss man dranbleiben. Als es um das Leitbild ging, wurde mir klar, dass die Stadt kaum Ressourcen und wenig Ahnung hat, wie so etwas umzusetzen ist.
Im Leitbild stand etwas von Bürgerbeteiligung. Ich wollte wissen, wie die Bürger informiert werden, was das Ziel ist, wie die Antworten verarbeitet werden – den ganzen Prozess. Aber da kam nichts. Ich schlug vor, eine kleine Website mit Formularen und Terminen zu erstellen, und bekam dafür auch etwas Geld. Nach den Arbeitsgruppen erhielten alle Beteiligten E-Mails mit Bildern und Zusammenfassungen und ein Dankeschön. Die Stadt hielt es jedoch für zu aufwendig, jedem Einzelnen zu antworten. Dabei ist es wichtig, die Menschen bei Laune zu halten. Aber für solches Denken fehlt der Stadt Strategie und Empathie.
Ein anderes Beispiel ist die neue Website der Stadt. Die Seite sollte in Absprache erstellt werden, und die Agentur schlug vor, die Texte zu überarbeiten. Aus der Stadtverwaltung kam die Frage, ob sie die Texte nicht auch nach der Veröffentlichung ändern könnten. Die Agentur antwortete, dass sie dann die erste Gemeinde wären, die dies so handhaben würde.
Mittlerweile bin ich nicht mehr in dieser Arbeitsgruppe. Es gibt viele Fehler. Warum entscheidet sich die Stadt für ein Verwaltungssystem, das sie von der Agentur mieten muss? Ich bin ein Befürworter von Open Source. Wenn die Zusammenarbeit mit der Agentur endet, beginnt alles wieder von vorne. Auch die Schnittstellen kosten extra. Mit Open Source könnte das vermieden werden. Aber niemand in der Stadtverwaltung scheint dafür ein Gespür zu haben.
Wenn Du entscheiden könntest, wie würdest Du die Stadt ausrichten? Wo liegt das Zeitzer Potential, die Zukunft?
Das größte Potenzial in Zeitz sehe ich im Bereich der Kultur. Wenn wir es geschickt anstellen, könnten wir einige unserer Leerstände nutzen, um junge Unternehmen anzuziehen. Man könnte eine Immobilie nutzen und über Förderprogramme hinausdenken, um eine unterstützende Struktur aufzubauen. Früher nannte man so etwas Technologie- und Gründerzentrum. Das wäre ein modellhafter Ansatz für Zeitz.
Wenn wir eine CO2-arme Stadt werden wollen, könnten wir uns mit aktuellen und zukünftigen Technologien beschäftigen. Die gesamte Stadtverwaltung könnte sich dieses Thema zu eigen machen und erforschen, was es bereits gibt.
2019 gab es eine Veranstaltung zu genau diesen Themen. Anwesend waren Experten aus Bielefeld, die Erfahrungen mit solchen Gründerzentren haben. Ich frage mich, was die Stadt Zeitz daraus mitgenommen hat. Es wurden auch Risiken beschrieben und Empfehlungen gegeben. Für ein solches Projekt muss eine Struktur in der Verwaltung geschaffen werden, finanziert mit Geldern aus dem Strukturwandel. Wir müssen das selbst in die Hand nehmen und können nicht warten, dass jemand anderes das für uns erledigt. Ich glaube, das ist unsere letzte Chance.
Eines der bedeutendensten Festivals zur Musik des 17. Jahrhunderts wird kaum gefördert.
Der Weg, den Du gehen würdest, wäre zu sagen, hier ist die Immobilie, hier gibt es Räume, es gibt die Datenanbindung und dafür dann Werbung zu machen. Damit digital arbeitende Firmen nach Zeitz kommen?
Die Organisation solcher Projekte ist machbar, aber in Zeitz scheint es oft nicht so weit zu gehen. Nehmen wir zum Beispiel Zekiwa, die ehemalige Kinderwagenfabrik, die jetzt zum Stadtarchiv umgebaut wird, auf drei Etagen. Es ist ein ziemlich großes Gebäude, und bundesweit sieht man eigentlich den Trend, dass Verwaltungen zentralisiert werden und alles, was zusätzliche Kosten verursacht, abgebaut wird.
Jetzt bindet sich Zeitz aber diese enorme Fläche ans Bein, ohne anscheinend gründlich über die laufenden Betriebskosten nachgedacht zu haben. Die fast hunderprozentige Förderung für die Sanierung ist zwar vorteilhaft, aber wurde wirklich bedacht, was man mit dem Gebäude noch machen könnte? Laut Förderprogramm darf es für die nächsten 20 oder 30 Jahre nur öffentlich genutzt werden. Wäre ich dafür verantwortlich gewesen, hätte ich es gar nicht erst angefasst
Du siehst im Kulturbereich eine Chance für Zeitz. Wie genau könnte das aussehen?
Als Beispiel für kulturelle Potenziale in Zeitz nenne ich das Heinrich-Schütz-Musikfest, das bedeutendste Festival zur Musik des 17. Jahrhunderts, neben dem in Dresden. Solche Veranstaltungen sollten etabliert und gefördert werden. Die Stadt unterstützt zwar ein wenig, etwa durch Finanzierung von Plakaten, aber eine feste Präsenz oder Bedeutung in der Stadt hat das Festival nicht. Stattdessen liest man in Zeitz Überschriften wie »Die Kultur lebt, die Schwarzbiernacht findet statt«.
Das ist der Grund, warum ich im Leitbild den Kulturbegriff definieren wollte. Wenn man behauptet, dass das Dreigestirn aus Dom, Schloss und Schlosspark der Leuchtturm der Stadt ist, dann muss man auch das Licht anschalten, um den Weg zu weisen. Die Verwaltung schafft es nicht, dies nebenbei zu bewältigen. Im letzten Beirat zum Strukturwandel haben wir die Gründung einer fünfköpfigen Entwicklungsgesellschaft in Betracht gezogen, die sich ausschließlich der Entwicklung von Projekten widmet, wie zum Beispiel der Nutzung alter Immobilien. Als Oberbürgermeister würde ich das zur Kernaufgabe für die nächsten 15 Jahre machen.
Das fiel jetzt schon mehrfach, der Begriff der Kohlemillionen. Woher kommt das Geld?
Im Rahmen des Strukturstärkungsgesetzes stehen 40 Milliarden Euro zur Verfügung, die nach einem Länderschlüssel verteilt werden. Die Länder erarbeiten gerade ihre operationellen Programme, nach denen dann Fördermittel beantragt werden können. Um die Bedeutung zu unterstreichen, halten Kabinette manchmal auswärtige Sitzungen ab. So kam es, dass die Landesregierung nach Zeitz kam. Der Ministerpräsident verkündete, dass Zeitz einen Masterplan benötigt. Daraufhin fragte unser Oberbürgermeister bei der Staatskanzlei an, wer diesen Masterplan denn schreiben würde.
Aber die Richtung, in die die Stadt gehen will, muss sie doch selbst definieren. Wir müssen erreichen, dass unsere Pläne für die Landesentwicklung relevant sind. Doch zuerst müssen wir als Stadt klarstellen, wohin wir wollen. Wollen wir eine digitale Stadt werden, eine CO2-arme Stadt, eine grüne Stadt oder etwas ganz anderes?
Ich vermisse das Grün in Zeitz. Ein paar Blühstreifen wären ein Anfang.
Ich würde die grüne und CO2 arme Stadt bevorzugen.
Ich vermisse auch das Grün in Zeitz. Das fällt mir besonders auf, wenn ich sehe, wie hier gemäht wird. Ich plane, dieses Thema im Herbst aufzugreifen. Alle sprechen von Blühwiesen, aber auch ein paar Blühstreifen in Zeitz wären ein Anfang.
Die Leiterin der Staatskanzlei erwähnte, dass Projekte für das Land besonders überzeugend sind, wenn sie nachweislich die Lebensqualität und Nachhaltigkeit fördern und Wertschöpfung schaffen. Die Stadt muss zwei klare Ziele formulieren und darunter jeweils einige Projekte entwickeln.
Ein Projekt in der Rahnestraße ist beispielsweise ein geplantes Mehrgenerationenhaus, finanziert aus Mitteln des Strukturwandels. Wenn wir mehr Mittel wollen, könnten wir eine Achse von der Moritzburg über den Schützenplatz bis zur Rahnestraße beschreiben und darlegen, was wir in den Bereichen Wohnen und Freizeit planen.
Wir benötigen Leute in der Stadtverwaltung, die nicht nur sagen, dass sie gerade so die bestehenden Projekte betreuen können. Besonders nicht in Anwesenheit der Staatschefin. In solchen Runden darf man nicht schwächeln. Man muss mitdenken, was man erreichen will, nicht nur den Anfang, sondern auch alles, was danach kommt.
Das kannst Du nur sagen, weil Du ehrenamtlich arbeitest und weißt, dass Du dafür kein Gelderhalten musst. Aber wenn Du aufhörst, dann verliert Zeitz viel.
Die Präsentation des Entwurfs für das Corporate Design der Stadt Zeitz im Stadtrat nächste Woche (das war im September 2020) könnte interessant werden. Ich erinnere mich an ein ähnliches Ereignis zurück im Jahr 2004, als Zeitz die erste Bundesgartenschau des Landes ausrichtete. Für die Vorbereitung war ich in einem Gremium und fuhr dafür regelmäßig nach Magdeburg. Dort präsentierte eine Agentur ihr Marketingkonzept für die Landesgartenschau – Banner, Logo und so weiter. Das Konzept wurde dort abgesegnet. Doch als es dann im Zeitzer Stadtrat vorgestellt wurde, gefiel es den Mitgliedern nicht. Über Nacht erstellten sie ein neues Logo. Schauen Sie sich mal das Logo der Landesgartenschau 2004 an. Vermutlich wurde es in Coral Draw selbst entworfen, ein Auge und – ach, es war wirklich furchtbar. Es passte nirgendwo hin und war überall störend, ein ästhetischer Fehlgriff. Aber es gefiel ihnen und so wurde es überall verwendet. Jedes Mal zog sich mir alles zusammen, wenn ich es sah. Es tat wirklich weh. Ich hoffe, dass sich das nicht wiederholt.